Neue Serie: Große Geister und ihre Hunde
Sigmund Freuds heimliche Mitstreiter
Sigmund Freud, der Kartograph unseres geheimnisvollen Seelenuniversums, tauchte unerschrocken in die finsteren Abgründe des menschlichen Unbewussten ein. Jedoch, am Ende des Tages, waren es die simplen und ehrlichen Gefährten auf vier Beinen, die ihm jenes unbeschwerte Lächeln entlockten. Freud - ein Kauz, stets umwölkt vom Dunst seiner Tabakspfeife und, wie es heißt, auch nicht unbekannt mit der aufputschenden Wirkung des Kokains - hatte eine Vorliebe für die deftige Wortwahl, wenn es darum ging, seine Mitarbeiter zu charakterisieren, nicht selten als „Gesindel“.
Mit fast 70, es war 1925, kaufte Freud seiner Tochter Anna einen riesigen schwarzen Schäferhund: Wolf. Als der reinrassige Wolf in die Berggasse 19 im neunten Wiener Bezirk einzog, hatte er eine Aufgabe: Er sollte Anna, die Jüngste unter den sechs Sprösslingen des Professors, beschützen, die gerne auch abends ausgedehnte Spaziergänge durch die verwunschenen Gassen der Stadt unternahm. Dem Professor weniger zugeneigte Biografen behaupten allerdings, er hätte den Hund angeschafft, um seine Gattin Martha zu ärgern, die mit Hunden so gar nichts anfangen konnte.
___STEADY_PAYWALL___ Es dauerte nicht lange, bis der neugierige Blick des Psychoanalytikers auf den ausgeprägten Beschützerinstinkt des Tieres fiel. In therapeutischer Manier erlebte Freud eine „Übertragung“: er spürte, wie seine eigenen beschützenden Gefühle für seine Tochter sich auf Wolf übertrugen.
Im Lauf der Zeit wurde Wolf immer mehr zum treuen Wegbegleiter des Professors und nicht der Tochter, wie es eigentlich vorgesehen war; er verhätschelte das Tier über die Maßen.
Freud stellte fest: „Hunde schätzen ihre Freunde und beißen ihre Feinde, ganz im Kontrast zum Menschen, dem es nicht gelingt, die reine Liebe zu erfassen und stets Liebe und Hass in seinen Beziehungen vermengt.“
Mehr und mehr avancierte der Hund zur emotionalen Stütze Freuds. Seine Zuneigung zu Wolf wurde noch durch den tragischen Verlust seines früh verstorbenen Enkels Heinele verstärkt („hat mir fast das verstorbene Heinele ersetzt.“). Wolf musste 1936 eingeschläfert werden.
Freuds erster Chow-Chow war ein Geschenk von Annas engster Freundin: Dorothy Tiffany Burlingham – beide übrigens Psychoanalytikerinnen. Dorothy also schenkte dem Professor die Chow-Chow-Hündin Lün. Lün war eine treue Begleiterin und wurde oft als Freuds Schatten bezeichnet, da sie ihm überallhin folgte. Lüns Leben sollten jedoch schon nach 15 Monaten tragisch enden. Während eines Sommerurlaubs in Berchtesgaden ging sie verloren. Sie wurde Tage später leblos auf den Bahngleisen gefunden.
Dann kam Jofi. Der stattliche orange-braune Chow-Chow war ein Geschenk von Prinzessin Marie Bonaparte, eine Großnichte des Französischen Kaisers und zuvor Patientin Freuds. Vor allem aber war sie begeisterte Züchterin von Chow-Chows.
Hunde lieben ihre Freunde und beißen ihre Feinde. Anders der Mensch: Er ist unfähig zu reiner Liebe und muss stets Liebe und Hass unter einen Hut bringen.
* Sigmund Freud *
Jofi wurde zur Co-Therapeutin, war oft während Freuds Therapiesitzungen anwesend. Offenbar hatte die Hündin ein gewisses therapeutisches Gespür, denn von Freud ist das Zitat überliefert: „Wen die Jofi nicht mag, mit dem stimmt was nicht.“
Jofi lag also während der Sitzungen auf dem Boden neben Freuds berühmter Couch und, wie Freud schnell erkannte, redeten die Patienten offener als sonst, während sie sie streichelten. Wenn die Patienten das Ende ihrer vereinbarten Stunde bei Freud erreichten, gähnte und streckte sie sich ausgiebig, erhob sich und ging zur Tür. Ein untrügliches Signal für Freuds Besucher, dass es Zeit war zu gehen.
Sie war das Zentrum seiner Welt. Als der große Schriftsteller Thomas Mann, selbst „Hundepapa“ von Hühnerhundmischling Bauschan, 1932 dem berühmten Psychoanalytiker einen Besuch abstattete, redeten die beiden Geistesgrößen nur über ihre Hunde und Zigaretten, wie die damalige Haushälterin Freuds Jahre später verriet.
Im Januar 1937 musste Jofi eine komplizierte Operation zur Entfernung lebensbedrohlicher Eierstockzysten ertragen. Obwohl der Eingriff erfolgreich war, starb Jofi einige Tage später. Freud war tief betrübt und sagte: „...man kann nicht einfach über sieben Jahre Intimität hinwegsehen.“
Freud gestand sofort, dass er es zu diesem Zeitpunkt seines Lebens nicht mehr ertragen konnte, ohne Hund zu leben, und begrüßte schon nach sehr kurzer Zeit einen neuen Chow-Chow namens Lün Yu (oder Lün Nummer zwei) in seinem Haus. Auch sie war Geschenk von Marie Bonaparte.
Im Sommer 1938 geriet Wien in politische Unruhen. Die Nazis hatten mehrere Bücher Freuds öffentlich verbrannt. Prinzessin Marie Bonaparte oraganisierte für Freud und seine Familie die Flucht, zunächst mit dem Zug nach Paris und dann weiter nach London. Lün Yu reiste mit ihnen.
Freud, zwischenzeitlich an Gaumenkrebs erkrankt, hatte unerträgliche Schmerzen und konnte kaum noch essen und sprechen. Es waren wohl die fortschreitenden Nekrosen und die damit verbundenen Gerüche, die Lün Yu bewogen, auf Abstand zu dem Schwerkranken zu gehen. Freud: „Wenn der Hund ins Zimmer gelassen wurde, verkroch er sich in der entferntesten Ecke“.
Am 23. September 1939 starb Freud an einer Überdosis Morphium, die ihm sein Arzt gegeben hatte.
Die Beziehung zwischen Sigmund Freud und seinen Hunden zeigt, wie tief die Bindung zwischen Mensch und Tier sein kann und wie diese Bindung sowohl das persönliche als auch das berufliche Leben beeinflussen kann. Es ist klar, dass Freuds Hunde nicht nur Haustiere, sondern auch Kollegen, Freunde und Familienmitglieder waren. Sie spielten eine wichtige Rolle in seinem Leben und in seiner Arbeit und hinterließen einen bleibenden Einfluss auf seine Theorien und Praktiken.
Freuds Beziehung zu seinen Hunden beeinflusste auch seine Ansichten über die menschliche Psyche. Er stellte fest, dass Hunde ihre Freunde lieben und ihre Feinde beißen, im Gegensatz zu Menschen, die unfähig sind, reine Liebe zu empfinden und ständig Liebe und Hass in ihren Beziehungen mischen müssen. Diese Beobachtung führte Freud zu der Überzeugung, dass Hunde in gewisser Weise die besseren Menschen seien.